Im Oktober 2018 hat der Patriarch von Konstantinopel den Anspruch Kiews auf eine eigenständige Kirche anerkannt. Jetzt heißt diese Kirche „Orthodoxe Kirche der Ukraine“ und soll auf Basis der drei Kirchen entstehen, die bisher in der Ukraine vertreten waren – die Ukrainische-Orthodoxe Kirche Kiewer Patriarchats, die Ukrainische-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats und die Ukrainische autokephale orthodoxe Kirche. Am gestrigen Samstag hat der Patriarch von Konstantinopel trotz aller Proteste aus Moskau einen Erlass signiert, der die Unabhängigkeit der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine anerkennt. An der Zeremonie in Istanbul nahmen der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sowie mehrere ukrainische hochrangige Beamte teil. Warum reagiert die Russisch-Orthodoxe Kirche darauf so sensibel und worum geht es bei diesem Konflikt überhaupt? russland.NEWS sprach darüber mit dem Vorsteher der Maria-Obhut-Gemeinde in Düsseldorf, dem Erzpriester Dimitry Sobolevskiy.
Vater Dimitry, wenn ein Staat seine Unabhängigkeit erlangt, gilt das als etwas Positives. Was ist also schlecht daran, dass die Ukrainische Orthodoxe Kirche jetzt unabhängig geworden ist?
Vater Dimitry: Das Erlangen der Unabhängigkeit einer Kirche als solches ist nicht unbedingt schlecht. Es gibt viele Kirchen, die quantitativ kleiner sind als die ukrainische, aber unabhängig sind zum Beispiel die tschechische oder die polnische Orthodoxe Kirche. Es geht darum, wie das geschehen ist. Das kirchliche Leben verläuft nicht nach zivilen Gesetzen oder politischem Willen. Ich rede nicht davon, dass die Kirche und die Gläubigen der Gesetzgebung ihres Landes nicht unterstehen. Aber die Kirche hat ihre Gesetze und die heißen Kanons. Sie sind nicht gestern entstanden und haben eine zwei Jahrtausend Jahre lange Tradition. Natürlich wiederspiegeln einigen davon die Epoche, in derer sie entstanden sind. Das bedeutet aber nicht, dass sie veraltet sind und man sie grob verletzten darf. Und am Beispiel der Ukraine sehen wir, dass das Ganze eindeutig eine politische Angelegenheit wurde. Die aktuelle Position der politischen Elite dieses Landes und der Wunsch, ihr Ranking auf Kosten der Religion zu verbessern hat dabei eine gravierende Rolle gespielt. Also wurde die kirchliche Frage administrativ gelöst.
Gut, aber warum hat dann Konstantinopel diese, wie Sie sagen rein politische Entscheidung unterstützt?
Vater Dimitry: Diese Frage hätten Sie an Konstantinopel richten sollen. Aber eins muss man festhalten: die Beziehungen zwischen dem Moskauer Patriarchat und dem ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel waren schon immer nicht ganz einfach. Einige Menschen nennen den Patriarchen von Konstantinopel den „türkischen Patriarchen“, denn er hat nur etwa 5.000 Gläubige und einige Kirchen unter sich. Faktisch ist es auch so, aber man darf nicht vergessen, dass dieses Patriarchat einen sehr großen Einfluss in Westeuropa und in den USA hat. Denn die größte orthodoxe Kirche in den Vereinigten Staaten untersteht eben dem Patriarchat von Konstantinopel.
Wollen Sie damit andeuten, dass das Patriarchat von Konstantinoper so sein Rating verbessern will?
Vater Dimitry: Nein. Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass nicht nur die Russisch-Orthodoxe Kirche, sondern auch andere orthodoxe Kirchen schwierige Beziehungen zu Konstantinopel haben. Wie kam es dazu? In der Antike gab es fünf Patriarchate, wobei die Römische Kirche an der ersten Stelle war. Danach kam Konstantinopel. Die Beziehungen zwischen diesen Patriarchaten verliefen, in der modernen Sprache ausgedrückt, auf einer demokratischen Basis und kirchlich gesprochen – konziliar. Nach der Kirchenspaltung im Jahre 1054 wurde Konstantinopel führend unter den östlichen Kirchen. Allerdings kurz nach der Kirchenspaltung wurde Byzanz durch Kreuzzüge und dann Eroberungen durch die Osmanen geschwächt. Im Laufe der Geschichte verlor Konstantinopel die führende Rolle. Vor allem aber ist nach kirchlichem Recht strengst untersagt, sich in die Angelegenheiten einer anderen Kirche einzumischen. Denn darin besteht unter anderem der Unterschied zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche: unsere Kirchen existieren unabhängig voneinander. Wir haben kein Oberhaupt für alle Kirchen.
Also darf der Patriarch von Konstantinopel eigentlich keine Autokephalie erteilen?
Vater Dimitry: Der Patriarch von Konstantinopel kann seinen „Tochterkirchen“ Autokephalien geben. Die Russische Orthodoxe Kirche war früher zum Beispiel die Tochterkirche von Byzanz. Und eben als „Tochterkirche“ hat sie diese Autokephalie erhalten. Im 20. Jahrhundert hat das Patriarchat von Konstantinopel zwar erklärt, dass es das Recht hat, alle Kirchen in die Unabhängigkeit zu entlassen, aber viele Kirchen (die serbische, die bulgarische und die russische) erkennen dieses Recht nicht an.
Wie empfinden „normale“ Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche das, was in der Ukraine geschehen ist?
Vater Dimitry: Alle sehen das als eine große Tragödie, deren Folgen wir mehrere Jahrzehnte verspüren werden. Kein Priester kann dabei gleichgültig bleiben. Aber vor allem Priester, die in Westeuropa tätig sind, sind unmittelbar davon betroffen. Denn wir haben mit dem Patriarchat von Konstantinopel ständig zu tun. In Deutschland gibt es zum Beispiel die Bischofkonferenz der Orthodoxen Kirchen, ein Organ, der die Orthodoxie mit einer Stimme vertrat. Jetzt ist es nicht ganz klar, wie die Zusammenarbeit in der Konferenz funktionieren soll nach dem, was passiert ist. Denn wir als russisch-orthodoxe Priester dürfen keine gemeinsamen Gottesdienste mit den Vertretern des Patriarchats von Konstantinopel mehr zelebrieren und an keinen Organisationen teilnehmen, bei denen das Patriarchat Vorsitz hat.
Was passiert jetzt mit den Gemeinden der Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats?
Vater Dimitry: Jetzt ist die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats quasi „persona non grata“ und der ukrainische Staat mischt sich ein. So hat Poroschenko einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats „Russländische orthodoxe Kirche in der Ukraine“ heißen soll. Und was passiert zum Beispiel mit dem Kiewer Höhlenkloster, einem der größten Heiligtümer der Orthodoxie? Denn der Klosterkomplex gehört dem ukrainischen Staat und wurde von der Kirche nur „gemietet“. Es werden zwar Liebe und Offenheit deklariert, aber in Wirklichkeit wird sehr viel Druck ausgeübt. Hören Sie sich nur die Rede von Poroschenko an, nachdem der Patriarch der Orthodoxen Kirche der Ukraine gewählt wurde! Er hat sieben Mal Russland erwähnt, aber kein einziges Mal Jesus Christus. Wo heute ein russisches Weihrauchfass geschwenkt wird, kommen morgen russische Panzer, sagte er.
Aber nur 13 Prozent der Gläubigen gehören der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche der Moskauer Patriarchats an…
Vater Dimitry: Das ist nicht wahr. Die Kirche Moskauer Patriarchats war und bleibt die größte Kirche in der Ukraine. Sowohl was die Zahl der Gemeinden, als auch was die Zahl der Bischöfe, der Priester und der Gläubigen angeht. An dieser Stelle muss gesagt werden, dass sie auch die größte Autonomie besaß, die eine Kirche überhaupt nur haben kann. Die Eröffnung neuer Diözesen, die Kanonisierung neuer Heiligen, die Ernennung neuer Bischöfe – das alles hat die Synode der Ukrainischer-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats selbständig gemacht. Und der Metropolit von Kiew Onufrij nimmt zum Beispiel an der Arbeit der Synode der Russischen Orthodoxen Kirche teil, er ist Mitglied dieser Synode. Die Bischöfe der Russischen Orthodoxen Kirche können jedoch nicht an der Kiewer Synode teilnehmen.
[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]
Quelle: http://www.russland.news/streit-in-der-orthodoxen-kirche-eine-grosse-tragoedie/