Botschaft
des Erzbischofs von Podolsk TICHON,
Leiter der Diözese von Berlin und Deutschland
an die Geistlichen, Mönche und Nonnen und alle gläubigen Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche in Deutschland.

Liebe Väter, Brüder und Schwestern!

In diesen schweren Tagen der feurigen Prüfung und der tiefen Trauer rufe ich immer wieder von ganzem Herzen den Segen Gottes auf euch herab und bete für die Gesundheit und das Heil eines jeden von euch. Wir brauchen jetzt mehr denn je ein herzliches Gebet füreinander, wenn angesichts der extremen und dringenden Maßnahmen der deutschen Regierung zur Verhinderung eines katastrophalen Verlaufs der Ereignisse die Gebetshäuser aller Konfessionen, einschließlich unserer orthodoxen Kirchen, ihre Tore schließen müssen und nur noch die Geistlichen in einer Reihe von Bundesländern vor dem Altar stehen dürfen, um für ihre von Gott behütete Herde zu beten. Bis in diese traurigen Zeiten haben wir solche Verbote nicht erlebt, und mit dem Psalmisten David weinen wir aus der Tiefe der Seele: “Mein Herz ist aufgewühlt in mir, und die Angst vor dem Tod greift mich an. Furcht und Zittern kommen über mich und bedecken mich mit Finsternis” (Psalm 54,5-6).

Die gegenwärtige Zeit der Großen Fasten, die voller tragischer Ereignisse ist – wie schmerzhafter Todesfälle, Krankheiten und Entbehrungen im Zusammenhang mit der Pandemie des gefährlichen Virus – zwingt uns, unser Leben und jene Wertesysteme zu überdenken, die sich nur auf irdische und vorübergehende Güter konzentrieren. Wir alle haben plötzlich erkannt, dass es für uns in diesen Tagen viel wichtiger ist, die gewohnte „Komfortzone“ zu verlassen, um unseren Nächsten und darüber hinaus selbstlos zu dienen. Wir beginnen zu verstehen, dass wir nicht in Worten, sondern in der Tat die Hektik des Lebens beiseite legen, Reue zeigen und unsere Augen auf Gott, den Denker und Schöpfer aller Dinge, richten müssen. „Lasst uns Ihn lieben”, ruft der Apostel uns auf, „denn Er hat uns schon vorher geliebt” (1 Jo 4,19). Eine solche Liebe „treibt die Angst aus, denn die Angst hat die Qual in sich. Wer sich fürchtet, ist in der Liebe nicht vollkommen” (1 Jo 4,18).

Die Große Fastenzeit, die wir durchleben, ist an sich schon damit verbunden, nach unseren Kräften Anstrengungen zur Reinigung unserer Seele auf uns zu nehmen, die uns auf die Erfahrung der Osterfreude vorbereiten. In der gegenwärtigen Situation kommen noch die Prüfungen unseres Glaubens und unserer Treue zur Kirche hinzu, die mit der erzwungenen Schließung der Gotteshäuser für eine gewisse Zeit verbunden sind, wie es notwendig ist, um die Menschen vor der tödlichen Pestilenz zu schützen. Aber wir sind überzeugt, dass dies notwendig ist, damit unser „geprüfter Glaube sich als wertvoller erweise als der vergängliche, wie auch das durch das Feuer geprüfte Gold – zum Lob und zur Ehre und Herrlichkeit bei der Erscheinung Jesu Christi” (1 Petr 1,7).

Es ist erstaunlich, wie viele Dinge, die für uns noch vor kurzem sehr gewohnt waren – die Beichte und die Kommunion der Heiligen Mysterien Christi, das kirchliche Gebet, anrührende Hymnen zur Großen Fastenzeit, die ungehinderte Gemeinschaft miteinander – für uns plötzlich unerreichbar wurden. Man muss nicht glauben, dass es für die Hirten leicht war, die Kirchen für den Besuch der Gläubigen zu schließen und die Liturgien nicht mehr mit der ganzen Gemeinde zu feiern. Mit Schmerz im Herzen und großem Bedauern waren wir gezwungen, dies zu tun. Doch hat uns dazu auch unsere christliche und bürgerliche Pflicht motiviert, welche die Sorge um die Gesundheit unserer Nächsten einschließt und die Hilfe für all jene, die heute gegen die Epidemie kämpfen. Lassen Sie uns deshalb nicht verzagen und in Panik verfallen, sondern im Gegenteil, bewaffnet mit Vorständnis und Mut, unser häusliches und persönliches Gebet verstärken, unsere Lebensweise ändern, so weit wie möglich zu Hause bleiben und den notwendigen Empfehlungen von Behörden und Ärzten folgen, um die Ausbreitung der todbringenden Krankheit zu verhindern. Erinnern wir uns in diesen Tagen daran, wie die heiligen Asketen selbst die Einsamkeit, die Buße, das inständige Gebet, das Sinnen über Gott suchten und dadurch die Gemeinschaft mit Gott wiederherstellten, die durch den Sündenfall verloren gegangen war. Nehmen wir zum Beispiel solch ehrwürdige Asketen wie Antonius den Großen, Johannes von der Leiter (Klimakos), Maria von Ägypten, Serafim von Sarov und viele andere Heilige, die das Leben in der Abgeschiedenheit von sich aus als Weg zu Gott, zur inneren Verwandlung, zum Himmelreich, gewählt haben.

Wenden wir, liebe Väter, Brüder und Schwestern in Christus, unsere inständigen Gebete an den Geber aller Güter, an Gott, damit er uns würdigt, die Karwoche im gemeinsamen Gebet in der Kirche zu verbringen und dort dem Fest der strahlenden Auferstehung Christi zu begegnen. Wir glauben, dass der barmherzige und menschenliebende „Gott die Gebete Seiner Auserwählten, die Tag und Nacht zu Ihm schreien, nicht verschmähen wird, auch wenn Er zögert, sie zu beschützen” (Lk 18,2). Was für eine unermeßliche Freude werden die gemeinsamen Gottesdienste, die Begegnungen in der Kirche, die Begrüßungen in Christus für uns sein – alles, was ja schon vorher war, aber von jetzt an so viel wertvoller wird!

Ich rufe euch alle auf, täglich mit gebrochenem Herzen, mit Kummer für eure Nächsten und für euch selbst, das Gebet um Befreiung von der zerstörerischen Seuche und dem todbringenden Virus zu lesen, das ich früher schon gesandt habe, damit der Herr auf die Gebete derer, die Ihn lieben, die Ärzte in ihrer Arbeit unterstützt, den Kranken bei der Heilung hilft, die Toten in Seinem Reich ruhen lässt und den Angehörigen der Verstorbenen die Kraft gibt, die Trauer des Verlustes zu ertragen. Lasst uns beten, dass der Herr uns „durch die Kraft seines kostbaren und lebensspendenden Kreuzes beschützt und uns von allem Bösen bewahrt” und dass jeder von uns die Freude des Paschafestes Christi und den Sieg des Lebens über den Tod schmecken kann.

+ TICHON
Erzbischof von Podolsk
Leiter der Diözese von Berlin und Deutschland