Kirill, der Heiligste Patriarch von Moskau und ganz Russland
Der neue Patriarch Kirill – mit weltlichem Namen Vladimir Michajlovic Gundjaev – wurde am 20. November 1946 im damaligen Leningrad (heute wieder St. Petersburg) als Sohn eines Priesters geboren. Am 3. April 1969 wurde er vom damaligen Metropoliten von Leningrad Nikodim (Rotov) zum Mönch und am 1. Juni des gleichen Jahres zum Priester geweiht; nach dem Studienabschluss an der Geistlichen Akademie 1970 wirkte er in der Neva-Metropole zunächst als Dozent für Dogmatische Theologie und als Gehilfe des Inspektors der Leningrader Geistlichen Akademie und des Seminars. Zugleich wurde er Sekretär von Metropolit Nikodim. Seit 1970 lernte er als Vertreter russischer orthodoxer Jugendorganisationen die USA und Westeuropa kennen. Am 12. September 1971 zum Archimandriten erhoben, wurde er zum offiziellen Vertreter des Moskauer Patriarchats beim Weltkirchenrat in Genf bestellt – ein Amt, das er von 1971 bis 1974 innehatte. Von Ende 1974 bis Ende 1984 war Kirill vorwiegend als theologischer Lehrer an verschiedenen Akademien und schließlich als Rektor der Leningrader Lehranstalten tätig. Am 14. März 1976 wurde er zum Bischof von Vyborg (finn. Viipuri) ernannt (1977 Erzbischof). In der Nachrüstungsdebatte in Westeuropa Anfang der 80er Jahre trat er als Kirchensprecher gegen das atomare Wettrüsten auf. Am 26. Dezember 1984 erfolgte die Ernennung zum Erzbischof von Smolensk, 1991 die Erhebung zum Metropoliten von Smolensk und Kaliningrad (die einstige Hauptstadt Ostpreußens, die früher deutsch Königsberg und polnisch Krolewiec hieß). In seine Zeit als Metropolit fiel der Bau der Aleksandr-Nevskij-Kathedrale in Kaliningrad, einem architektonischen Meisterwerk und zugleich Symbol der orthodoxen Präsenz in der Enklave am Baltischen Meer.
Seit dem 13. November 1989 war Erzbischof (seit dem 25. Februar 1991: Metropolit) Kirill Vorsitzender des Außenamtes des Moskauer Patriarchats und ständiges Mitglied des Heiligen Synods der Russischen Orthodoxen Kirche. In dieser Funktion war der Metropolit nicht nur bei zahlreichen internationalen ökumenischen Begegnungen präsent, er war es auch, der in aller Welt neue russische orthodoxe Gotteshäuser einweihte. Denn – vielfach unbemerkt von der ökumenischen Öffentlichkeit – ist die Russische Kirche gerade in den letzten 15 Jahren durch die Auswanderung zahlreicher Russen eine Weltkirche geworden, die auf allen Kontinenten präsent ist, in Neapel genauso wie in New Delhi, in Kuwait oder in Havanna.
In der Phase der „Perestrojka” von Michail Gorbacev zählte Kirill zu den Autoren des neuen Gesetzes über Religionsfreiheit. Dies trug auch zu seinem Ruf als einer der Vordenker der Kirche bei. Metropolit Kirill zeigte sich zudem als begnadeter Publizist und Medienmann und wurde neben dem Patriarchen selbst zum Gesicht der Kirche in Russland: Er ist mittlerweile Autor von 600 Büchern und Publikationen. In seinen wichtigsten Büchern (etwa in dem 2002 erschienenen Werk „Die Herausforderungen der modernen Zivilisation – Was sagt dazu die Orthodoxe Kirche?” oder „Gott und der Mensch. Gespräche über den orthodoxen Glauben”) setzte sich der Metropolit von Smolensk vor allem mit der Situation des suchenden Menschen in der Welt von heute auseinander. Er gilt darüber hinaus als Hauptautor der Soziallehre seiner Kirche („Grundlagen der Sozialkonzeption der Russischen Orthodoxen Kirche”), die im Jahr 2000 publiziert wurde, wie auch der vom Bischofskonzil im Juni 2008 verabschiedeten „Lehre über Freiheit, Würde und Menschenrechte”, die eine genuin orthodoxe, die westliche säkulare Sichtweise der Menschenrechte in Frage stellende Position bezieht. Immer wieder wurde er gern und häufig in Talk-Shows eingeladen. Schon seit 1994 hat der neu gewählte Patriarch eine wöchentliche Sendereihe „Wort des Hirten” im 1. Programm des russischen Fernsehens. Inzwischen hat der neue Patriarch bekannt gegeben, dass er diese Sendung auch in der neuen Funktion weiterführen wird.
Auf Ebene der Weltkirche machte sich Metropolit Kirill immer wieder für den Dialog stark. Für Aufsehen sorgte der Metropolit, als er etwa vor zehn Jahren eine „Radikalreform” des Weltkirchenrates forderte. In der Folge kam es in der Tat in Genf zu großen Reformschritten. Er war es auch, der erstmals 2006 ein Treffen der Religionsführer in Moskau zeitgleich zum G-8-Gipfel organisierte. An dem zweiten Treffen dieser Art 2007 in Köln nahm er ebenfalls persönlich teil. Dies war übrigens bei weitem nicht der erste Besuch von Metropolit Kirill in Deutschland, hat er dieses Land doch vielfach besucht – sowohl privat wie offiziell. So war er etwa schon 1988 in Hemer und im Haus Villigst zu ökumenischen Gesprächen, nahm an dem Evangelischen Kirchentag im Ruhrgebiet 1991 ebenso teil wie 1993 an dem in Hamburg und zuletzt noch 2007 in Köln. 1995 begleitete er Patriarch Aleksij II. bei dessen Deutschlandbesuch und 2008 weihte er das Gelände des neuen russischen Klosters in Götschendorf in der Uckermark.
Nach dem Tod Patriarch Aleksijs II. am 5. Dezember des Vorjahres wurde Metropolit Kirill als „Locum tenens (russ. Mestobljustitel’)” mit der provisorischen Kirchenleitung betraut. Seine jetzige Wahl garantiert Kontinuität zum Vorgängerpatriarchen Aleksij II. Nicht übersehen werden sollte, dass er ein Schüler von Metropolit Nikodim ist, dem die lebendige Weitergabe des orthodoxen Glaubens ebenso stets eine Herzenssache gewesen ist wie die Förderung der Einheit der Christen. Unter seiner Führung, so schrieben Beobachter in Moskau, werde sich die Kirche noch stärker als bisher als eigenständige, dem Staat ebenbürtige Institution erweisen. Dass er im Notfall – wie einst sein Lehrer Nikodim – den Konflikt mit der politischen Führung nicht scheut, bewies er mehrmals. Auch sein erstes Schreiben als erwählter Patriarch an Präsident Dimitrij A. Medvedev zeugt von diesem Selbstbewusstsein einer erstarkten Kirche gegenüber dem Staat: „Ich bezeuge die unveränderte Bereitschaft der Russischen Orthodoxen Kirche zu einer Ausweitung der konstruktiven Beziehungen mit dem Russischen Staat und zu gemeinsamer Arbeit, die ausgerichtet ist auf das Wohl des Volkes, auf die Festigung der geistlichen und moralischen Grundlagen seiner Existenz. Ich bin überzeugt, dass der jetzt begonnene Dienst als Patriarch beitragen wird zur Stärkung der Einheit unserer Gesellschaft, zur Schaffung guter gegenseitiger Beziehungen unter allen ihren Mitgliedern. unabhängig von ihrer nationalen oder religiösen Zugehörigkeit, ihrer Ansichten, Überzeugungen und ihres sozialen Standes”.
Hypodiakon Nikolaj Thon