Erzbischof Alexij (1975)

Erzbischof Alexij (1975)

Als der Heilige Synod der Russischen Orthodoxen Kirche am 1. Dezember 1970 ein Bistum für Norddeutschland mit dem Sitz in Düsseldorf errichtete, berief er zu dessen ersten Inhaber einen der bemerkenswertesten Hierarchen des Moskauer Patriarchats im Ausland, nämlich Erzbischof Alexij (van der Mensbrugghe), einen Mann, der einen außergewöhnlichen Lebensweg hinter sich hatte.

Als Albert van der Mensbrugghe wurde er am 9. Juli 1899 in der Ortschaft Saint-Nicolas (Waes) in Ostflandern geboren. Seine alte flandrische Familie zeichnete sich von jeher durch Zweisprachigkeit (flämisch und französisch) aus, was dem späteren Erzbischof seinen Dienst sehr erleichtern sollte, da er gleichermaßen auch das Deutsche (und das Englische) beherrschte wie die beiden Muttersprachen.

Außerdem charakterisierte die Familie van der Mensbrugghe eine starke religiöse und kirchliche Bindung: So waren zwei Vettern von Erzbischof Alexij katholische Bischofe, zwei Onkel und drei Brüder Priester und drei Schwestern Nonnen. Auch in der nächsten Generation setzt sich diese Tradition fort: Ein Neffe wurde Mönch in der Großen Kartause und eine Nichte Ordensschwester.

Albert van der Mensbrugghe wurde nach seinem Onkel, einem der Priester, getauft, erhielt aber nach der Ordnung der römisch-katholischen Kirche erst nach dem Ende der Grundschule 1910 das Mysterion des hI. Myron (Firmung) und die erste hI. Kommunion. Es schlossen sich der Besuch des Gymnasiums Sainte-Barbe in Gent an, eines von Jesuiten geleiteten Lehrinstitutes, welches in dem begabten Schüler den Wunsch nach dem Priestertum erweckte und forderte.

Allerdings war es nicht die im Genter Kolleg herrschende, rein wissenschaftlich und disziplinär orientierte Art, welche ihn begeisterte, sondern er sehnte sich nach der benediktinischen Spiritualität, mit welcher er in der Abtei Mont-Cйsar in Leuven zusammengekommen war.

Am Vorabend des Allerheiligenfestes (nach westlichem Kalender: 30. Oktober) 1919 trat Albert van der Mensbrugghe als Novize in dieses Kloster ein und empfing mit dem Kleide des hI. Mönchsvaters Benedikt von Nursia den Namen Maurus also den Namen des Lieblingsschülers des hI. Benedikt.

Am 19. März 1921 legte Bruder die ersten Gelübde ab. Er absolvierte in dieser Zeit seine philosophischen und dann (1921 bis 1925) seine theologischen Studien am Benediktinischen Kolleg in Leuven. Zu seinen Lehrern zählte dabei der berühmte Dogmatiker und Patristiker Dom Bernard Capelle. Die endgültigen Mönchsgelübde legte er am Feste des Mönchsvaters des Abendlandes, des hI. Benedikt, am 21. März 1924 in der Abtei St. Andreas ab. lm folgenden September wurde er zum Diakon und am 9. August 1925 von dem römisch-katholischen Primas von Belgien, Dйsirй Joseph Kardinal Mercier, Erzbischof von Mecheln-Brüssel, zum Mönchspriester geweiht.

Wenig später hatte Vater Maurus dann eine der entscheidenden Begegnungen seines Lebens: Der unierte Metropolit von Lemberg und Galizien, Andrej Szeptytsky, zelebrierte bei einem Besuch im Kloster St. Andreas in der Privatkapelle des Abtes eine Göttliche Liturgie im byzantinischen Ritus, bei der der junge Mönchspriester als Sänger assistierte und die Aufmerksamkeit des Metropoliten erregte. Er verwandte sich beim Abt für Vater Maurus, um ihm eingehendere Studien der Byzantinistik und der Liturgiewissenschaft im Hinblick auf eine spätere Tätigkeit bei der Bereinigung des total latinisierten Ritus der unierten Galizier zu ermöglichen.

Da gleichzeitig einer der lnitiatoren der liturgischen Bewegung im Abendland, Dom Lambert Beauduin, Mönche zur Gründung eines Unionsklosters suchte, wurde nun Vater Maurus zum Griechischen Kolleg nach Rom entsandt, welches von benediktinischen Mönchen geleitet wird, um am dortigen Orientalischen Institut eingehende Studien der östlichen Liturgie und Patrologie zu betreiben. Zugleich sollte er den Kontakt zum neuerrichteten Unionskloster in Amay-sur-Meuse aufrechterhalten, welches in der Diözese Lüttich 1925 von Dom Lambert Beauduin verwirklicht worden war.

Das Leben dort war auf Gebet, Studium und Arbeit ausgerichtet, vor allem aber auf die Feier der Liturgie sowohl im westlichen wie im byzantinischen Ritus. (1939 siedelte das Kloster nach Chevetogne über, wo es sich noch heute befindet – seit 1957 mit einer großen Kirche im Nowgoroder Stil.)

1927 wurde Vater Maurus nach Österreich entsandt, um die Möglichkeiten für die Gründung eines Tochterklosters von Amay zu sondieren. Aber der energische Widerstand der dortigen römisch-katholischen Bischöfe ließ – ebenso wie in Polen – das Projekt als nicht realisierbar erscheinen.

Italy 1975

Italy 1975

Die dortigen Erlebnisse und die Möglichkeit zum stillen Nachdenken ließen in Vater Maurus jedoch die Frage reifen, inwieweit er bei seinen in den letzten Jahren der intensiven Beschäftigung mit der Orthodoxie gewonnenen Überzeugungen noch anständigerweise eine rein formal gewordene kanonische Zugehörigkeit zur römischen Kirche vereinbaren könne, welche seiner Gewissensüberzeugung mehr und mehr widersprach.

1928 ergab sich für Vater Maurus in Paris die Möglichkeit zum Gespräch mit dem emigrierten Metropoliten von Wolhynien Evlogij (Georgievskij), damals Exarch des Patriarchen von Moskau für Westeuropa, sowie mit dem berühmten Theologen Erzpriester Sergij Bulgakov. Dieses Gespräch wurde durch eine Indiskretion bekannt, und auf Betreiben des Apostolischen Nuntius musste Vater Maurus als Hauskaplan in das Benediktinerinnen-Kloster Kylemore Abbey (Connemara, Grafschaft Galway) in Irland gehen, um dort “die Orthodoxie zu vergessen”.

Doch das Gegenteil war der Fall: Hier in der Einsamkeit hatte der junge Mönchspriester erst recht Gelegenheit, über sich und seinen Glauben nachzudenken. So festigte sich seine orthodoxe Überzeugung, der er durch die offizielle Aufnahme in die orthodoxe Kirche am Lazarussamstag (14./27. April) 1929 auch nach außen hin Ausdruck verlieh.

Er wurde in der Kirche des hI. Sergij von Radoneћ im gleichnamigen Theologischen Institut in Paris von Metropolit und Exarch Evlogi aufgenommen und erhielt bei dieser Gelegenheit den Mönchsnamen Alexij (nach dem hl. Metropoliten von Moskau).

Die folgenden zehn Jahre (bis 1939) verbrachte Vater Alexij in England als Hauskaplan einer vornehmen, zur Orthodoxie bekehrten Familie. Dies gab ihm die Möglichkeit, sich in eifrigen Studien – besonders in den großen Bibliotheken von Oxford und London – jenes fundierte Wissen um orthodoxe Theologie und Liturgiewissenschaft anzueignen, welches später immer wieder seine Zuhörer begeisterte. Zugleich wirkte er ab 1939 als Hauskaplan an der Kapelle der Orthodox-Anglikanischen Gesellschaft der hl. Alban und Sergij in London.

Als während des Krieges und der deutschen Okkupation Frankreichs die Verbindung mit dem Exarchen in Paris abriss, stand Priestermönch Alexij zeitweilig unter der Jurisdiktion des griechischen Erzbischofs von London, des Metropoliten Germanos von Thyateira. Dabei verwaltete er auch die rumänische Gemeinde in London. Gleichzeitig hatte er eine reiche Vortragstätigkeit zu bewältigen.

Da Vater Alexij der einzige orthodoxe Priester des Landes war, welcher inzwischen die britische Staatsangehörigkeit erworben hatte, die er übrigens bis zu seinem Tode behielt, war es ihm außerdem möglich, zahlreiche Seelsorgeaufgaben in England und Irland zu übernehmen. Nach Kriegsende konnte er wieder die Verbindung mit Paris und dem Moskauer Patriarchat aufnehmen. So wurde er am 16. März 1946 zum Aufbau einer orthodoxen Gemeinde nach Amsterdam entsandt, doch bereits im September desselben Jahres erfolgte die Berufung auf den Lehrstuhl der Patristik und der Liturgiegeschichte am neugegründeten Orthodoxen Institut Saint-Denis in Paris, an dem zu jener Zeit neben Vater Alexij so berühmte Theologen wie Vladimir Losskij, Nikolaij Arsen’ev, Vladimir IIjin und Aleksej Gakel’ (Hackel) lehrten.

Am 24. November 1946 wurde Vater Alexij von Metropolit Seraphim (Lukjanov) zum Archimandriten geweiht und zum Inspektor des Institutes ernannt. Neben seiner Lehrtätigkeit ist Archimandrit Alexij häufig auf internationalen Kongressen und Tagungen als Referent tätig. Außerdem erarbeitete er im Auftrag der Bruderschaft des hI. Photios und mit dem Segen des Patriarchen Sergij (Stragorodskij) von Moskau und der ganzen Rus’ eine Restauration des alten westlichen Ritus zum Gebrauch in den orthodoxen Gemeinden des abendländischen Ritus in Frankreich.

1950 besuchte Archimandrit Alexij wieder einml nach langen Jahren Deutschland, um die Möglichkeiten für den Aufbau von orthodoxen Gemeinden des westlichen Ritus zu sondieren. Eine Reihe von Anfeindungen, denen er sich daraufhin ausgesetzt sieht, veranlassen ihn, seine Funktionen aufzugeben und sich einige Jahre ausschließlich den Studien zur Wiederherstellung des alten gallikanischen Ritus zu widmen (Liturgie von St. Denis aus dem VI. Jahrhundert). In diesen Jahren gehörte er zur so genannten „Йglise Orthodox Catholique de France“, deren Gründung wesentlich auf das Wirken seines Freundes Evgraf Kovaleskij, des späteren Bischofs von St. Germain, zurückging.

Nachdem die Missverständnisse glücklicherweise beigelegt worden waren, kehrte Archimandrit Alexij 1959 in das Moskauer Patriarchat zurück und nahm seine Lehrtätigkeit wieder auf. Er gehörte jetzt zum Klerus der Kirche der drei Hierarchen in Paris (rue Petel).

Im Juni 1960 wurde er von Patriarch Aleksij I. (Simanskij) nach Russland eingeladen und stattete jetzt – als 61-jähriger – erstmals der Mutterkirche in der Heimat einen Besuch ab, bei dem er die Zentren der Russischen Orthodoxen Kirche persönlich kennen lernte.

Göttliche Liturgie

Göttliche Liturgie

Am 31. August desselben Jahres wurde Archimandrit Alexij vom Heiligen Synod zum Vikarbischof der Diözese von Korsun’ (Chersones) mit dem Titel eines Bischofs von Meudon bestimmt. Am 1. November 1960 empfing er in der Kirche der Drei Hierarchen in Paris die Bischofsweihe aus den Händen von Metropolit und Exarch Nikolaj (Eremin) von Korsun’ unter Assistenz der folgenden Hierarchen: Erzbischof Vasilij (Krivoљejn) von Brüssel, Bischof Antonij (Blum) von Sergievo (später: Metropolit von Surozh / Großbritannien) und Nikodim (Rotov) von Podol’sk (später: Metropolit von Leningrad und Novgorod / Leiter des Außenamtes der Russischen Orthodoxen Kirche).

Die Übergabe des Bischofsstabes nahm der griechische orthodoxe Metropolit Meletios von Frankreich (Ökumenisches Patriarchat) vor. Nachdem Bischof Alexij für einige weitere Jahre seine Lehrtätigkeit in Paris ausgeübt hatte, wurde er am 30. Juli 1968 zum Bischof von Philadelphia und Vikar der Diözese New York des Moskauer Patriarchats berufen. Als – auch unter seiner Mitwirkung – die orthodoxen Gemeinden russischen Ursprungs in Nordamerika ihre Beziehungen zur Mutterkirche kanonisch regelten und am 10. April 1970 als „Orthodoxe Kirche in Amerika“ vom Moskauer Patriarchat den Tomos über die Autokephalie erhielten, war die Aufgabe für Bischof Alexij in den USA erfüllt.

Bereits im September 1969 besuchte er zum zweiten Mal Russland und erhielt am 8.9.1969 von der Leningrader Geistlichen Akademie den Titel eines Doktors der Theologie verliehen.

Am 5. April 1970 erhielt die Würde eines Erzbischofs mit dem Recht, ein Kreuz am Klobuk zu tragen, und verwaltete jetzt kurzfristig die orthodoxen Gemeinden in Mexiko, bis er am 1. Dezember 1970 auf den neu errichteten Sitz in Düsseldorf berufen wurde.

Bei seiner Einführung in dieses Amt hob der damalige Exarch von Westeuropa, Metropolit Antonij von Suroћ, insbesondere die Treue des neuen Düsseldorfer Erzbischofs zur russischen Mutterkirche hervor, welche in Deutschland von besonderer Bedeutung sei. Wie sehr Erzbischof Alexij diese Aufgabe ernst nahm, zeigt die Tatsache, dass bei seiner Ankunft nur eine einzige Gemeinde der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates mit einem Priester im Norden der Bundesrepublik Deutschland existierte, am Ende seiner Amtszeit aber vier Kirchen (in Köln, Neuss, Oberhausen und im Diözesanzentrum Düsseldorf) mit drei Priestern und einem Diakon vorhanden waren.

Als besonderer Erfolg und ein großer Schritt auf dem Wege zur Festigung der Orthodoxie in der Bundesrepublik Deutschland darf die Eröffnung des Diözesanzentrums in Düsseldorf am 25. Mai 1975 im Beisein des damaligen Exarchen von Mitteleuropa, des Metropoliten Filaret (Vachromeev), gewertet werden: Es handelt sich dabei um ein ehemaliges römisch-katholisches Nonnen-Stift, welches dank der Vermittlung katholischer Freunde des Erzbischofs, insbesondere des Kölner Studentenpfarrers Dr. Dr. Wilhelm Nyssen, vom römisch-katholischen Erzbistum Köln der Russischen Orthodoxen Kirche übergeben wurde.

Über den Rahmen des Erzbistums Düsseldorf hinaus war Erzbischof Alexij weiterhin auf ökumenischem, wissenschaftlichem und kirchlichem Gebiet tätig: So vertrat er seine Diözese 1971 beim Landeskonzil der Russischen Orthodoxen Kirche, wo er als einer der Opponenten gegen die Pfarrstatuten von 1961 auftrat, weilte er als orthodoxer Beobachter bei der Gemeinsamen Synode der römisch-katholischen Bistümer in Würzburg und nahm – teilweise als Referent – an einer Reihe ökumenischer Tagungen und Sitzungen teil, so mehrfach am Ökumenischen Symposium in Regensburg (zuletzt 1974) und an den Jahrestagungen der Arbeitsgemeinschaft „Begegnung mit den Kirchen des Ostens“, wo er mehrmals den Hauptgottesdienst feierte.

Wegen einer schweren und chronischen Krankheit bat Erzbischof Alexij am 4. April 1979 den Patriarchen und die Synode um Entbindung von der Leitung der Diözese Düsseldorf und Versetzung in den Ruhestand. Auf der Sitzung des Heiligen Synods der Russischen Orthodoxen Kirche am 27. April wurde seiner Bitte entsprochen. Zugleich brachte der Heilige Synod seine tiefe Dankbarkeit für die langjährige unermüdliche und gesegnete Tätigkeit zum Wohle der heiligen Russischen Orthodoxen Kirche sowohl auf theologischem wie auch auf pastoralem und bischöflichem Gebiet zum Ausdruck.

00005_09sPatriarch Pimen würdigte die Verdienste des Erzbischofs in einem eigenen Schreiben, in dem er feststellt, dass Erzbischof Alexij „zu einer anerkannten Autorität auf solch wichtigen Gebieten der christlichen Wissenschaft wie der Patrologie und der alten Liturgik geworden ist”, zugleich aber auch „ein würdiger Nachfolger der Apostel, ein eifernder Hirte der geistlichen Schafe”.

In ungebrochener geistiger Frische konnte der Erzbischof Aleksij noch seinen 80. Geburtstag begehen. Seine körperlichen Kräfte ließen aber stetig nach. Am Pfingstmontag, dem Tag des Heiligen Geistes, dem 26. Mai 1980 starb Erzbischof Alexij in dem Altenheim in Neuss, in dem er die letzte Zeit seines Lebens verbracht hatte, und wurde in seinem Heimatort St. Nicolas in der Familiengruft bestattet.

In der Ikonostase der Kirche Mariä-Obhut in Düsseldorf (heute: Ständige Vertretung der Russischen Ortodoxen Kirche) aber erinnert die Ikone seines himmlischen Patrons, des hl. Metropoliten Aleksij von Moskau, an den Mann, der erster orthodoxer Oberhirte von Düsseldorf war: Erzbischof Alexij (van der Mensbrugghe).

Ipodiakon Nikokaj Thon