an die Oberhirten, Hirten, Diakone, Mönche, Nonnen
und alle gläubigen Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche
Hochgeweihte Oberhirten, hochwürdige Priester und Diakone, allverehrte Mönche und Nonnen, liebe Brüder und Schwestern!
CHRISTUS IST AUFERSTANDEN!
Indem ich mich an euch mit diesem lebensbejahenden Gruß wende, gratuliere ich euch allen zum großen und welterlösenden Paschafest. An diesem ersehnten und heiligen Tag werden wir mit solcher geistigen Freude und überragenden Dankbarkeit zu Gott erfüllt, so deutlich empfinden wir die Kraft und die Tiefe der Liebe des Schöpfers zum Menschen, dass es mitunter kompliziert ist, andere Worte zum Ausdruck unserer Gefühle zu finden, außer denen, mit welchen die myrontragenden Frauen zu den Aposteln hineilten, um ihnen vom wundervollen Ereignis zu künden, dass sie den Herrn gesehen hatten.
Man kann sich nur vorstellen, dass es für die Jünger des Erlösers nicht einfach war, an die Realität der geschehenen Auferstehung zu glauben. Sahen sie doch noch kürzlich mit eigenen Augen, wie man ihren geliebten Meister peinigte und kreuzigte. Noch frisch waren die Erinnerungen, wie man Seinen toten und odemlosen Leib ins Grab hineinlegte und die kalte Höhle mit einem schweren Stein versiegelte. Nun wird die Trauer durch Bestätigung des Glaubens ersetzt und die Tränen des Kummers werden in Freudentränen umgewandelt.
Welche wunderbare Änderung! Welch großes Zeichen der Kraft Gottes! Das Grab steht offen und leer und das Grabtuch ist zusammengefaltet und liegt an der Seite. Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und bietet an, mit den Fingern Seine tiefen Wunden von der Lanze und von den Nägeln zu berühren, damit die Jünger auch die geringsten Zweifel ablegen: es ist Er selbst (Lk 24, 39).
Die erlebte Erfahrung realer Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus und die unvergängliche Osterfreude beflügelten und begeisterten die Apostel, die bis zu den Grenzen der Erde gingen, um die Vergebung der Sünden und die Erlösung zu verkündigen, die wir durch den aus dem Grab auferstandenen Herrn Jesus Christus erhielten. Indem die Apostel Mühsal und grausame Verfolgungen nicht scheuten, Unheil und Missgeschick duldeten, bezeugten sie nie stumm und kühn Christus – den Sieger über den Tod.
Gott erfüllte seine Verheißung, die Er im Altertum den Menschen gab: „Ich will sie erlösen aus der Hölle und vom Tod erretten“ (Hos 13, 14). Und im Lichte des Ostermorgens jubeln wir mit dem Apostel Paulus: „Verschlungen ist der Tod durch den Sieg“ (1 Kor 15, 54)! Nunmehr kann nichts uns von der Liebe Gottes scheiden (Röm 8, 39), denn die tödliche Wirkung der Sünde ist durch die Kraft des auferstandenen Herrn abgeschafft. In der Auferstehung Jesu Christi, der zum Erstgeborenen der Toten geworden ist (Kol 1, 18), wird uns der wahre Reichtum der Gnade Gottes eröffnet: der Glanz des ewigen Lebens mit Gott und in Gott, da, dem prophetischen Wort des Apostels nach, Gott alles in allem sein wird (1 Kor 15, 28).
Die Kirche lebt ja bereits zwei Jahrtausende von dieser unvergänglichen Freude der Auferstehung und strebt danach, jedem Menschen, der zur Welt kommt (Joh 1, 9), diese näherzubringen. Im Licht der Auferstehung wird alles tatsächlich anders gesehen: alle irdische Trauer, Kummer und Alltagswirren sind nicht furchtbar, sogar die nicht einfachen Umstände der angstvollen jetzigen Zeit erscheinen nicht so bedeutsam angesichts der uns geschenkten Ewigkeit.
Der ehrwürdige Ephräm der Syrer hat den großartigen Gedanken, dass der Herr bei der Erschaffung des Menschen in dessen Tiefen das ganze Himmelreich legte, das nur darauf wartet, dass wir es wie eine edle Perle auffinden. „Das Reich ist in der Seele eingeschrieben und ist in sie wie eine Brautgabe hineingelegt, damit, wenn der Erbe des Reiches kommt, er diese mit sich ins Hochzeitsgemach hineinführt“ (Auslegung der Worte „Setze, Herr, meinem Mund eine Wache”). Dieser Erbe – Christus – ist gekommen und auferstanden, errettete die Menschen von den Sünden und gab uns Macht, Kinder Gottes zu werden (Joh 1, 12), damit wir vor Gott in Heiligkeit und Wahrheit wandeln, immer untadelig und gemäß der christlichen Berufung ehrenhaft handeln, das Salz der Erde und das Licht der Welt seien (Mt 5, 13-14).
Um den auferstandenen Heiland zu bezeugen ist es gar nicht nötig, irgendwohin weit fort zu gehen oder zu fahren, den Aposteln ähnlich, die auf der ganzen Welt das wundervolle Osterlicht verbreiteten. Um uns herum gibt es nicht wenige Menschen, die des lebendigen Beispiels des christlichen Glaubens bedürfen, der durch die Liebe wirkt (Gal 5, 6). Gott fordert von uns keine unzumutbaren Taten. Er bittet nur, Liebe zueinander offenbar zu machen, uns zu erinnern, dass wir dadurch auch gegenüber Ihm Liebe erweisen. Ein gütiges Lächeln, Aufmerksamkeit und Empfindsamkeit gegenüber denen, die uns umgeben, rechtzeitig gesagte Worte der Tröstung und der Unterstützung, können zuweilen zu den wichtigsten Sachen werden, die um unseres Herrn willen zu tun wir die Möglichkeit haben.
Indem ich allen zum Paschafest gratuliere, rufe ich auf euch den Segen des auferstandenen Christus herab und wünsche euch, meine Lieben, die unvergängliche lichte Osterfreude, die uns in Glauben, Hoffnung und Liebe stärkt. Möge Gott dieses Licht in unseren Herzen nie erlöschen lassen, damit es immer der Welt leuchtet (Mt 5, 14). Und wir, indem wir uns unermüdlich durch Gottes Wort – durch das Lesen des Evangeliums – heiligen und durch die Teilnahme an den Mysterien der Kirche der göttlichen Gnade teilhaftig werden, wachsen unentwegt in der Erkenntnis des Herrn heran und werden stark im Befolgen seiner Gebote, damit „die Menschen eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen” (Mt 5, 16) und mit uns zusammen freudig bezeugen, dass
CHRISTUS WAHRHAFTIG AUFERSTANDEN IST!
† KIRILL
PATRIARCH VON MOSKAU UND DER GANZEN RUS‘
Pascha Christi
2022