Im Herrn geliebte Mitbrüder im Bischofsamt, hochwürdige Väter, gottgeliebte Mönche und Nonnen, liebe Brüder und Schwestern!

Von Freude erfüllt begrüße ich Euch mit dem uralten und zu allen Zeiten neuen und lebensbejahenden Siegesruf:
Christus ist auferstanden!
Noch gestern haben wir zusammen mit den Jüngern des Herrn den Tod des geliebten Lehrers beweint und heute frohlocken wir mit der ganzen sichtbaren und der unsichtbaren Welt: „Christus ist auferstanden – der ewige Jubeln“ (Kanon des Heiligen Paschas). Noch gestern schien es, ob die letzte Hoffnung auf das Heil verloren ist und heute erhielten wir die feste Zuversicht für das ewige Leben im abendlosen Tag des Reiches Gottes. Noch gestern herrschte das Gespenst der Verwesung über die Schöpfung und stellte selbst den Sinn des irdischen Daseins in Frage und heute verkünden wir allen und jedem den großen Sieg des Lebens über den Tod.
Wenn der von Gott inspirierte Apostel Paulus über die Bedeutung des Wunders spricht, das in dieser fernen aber stets jedem Christen nahen Nacht geschah, behauptet er direkt, dass dies das wichtigste Ereignis für unseren Glauben ist, wenn: „aber Christus nicht auferstanden ist, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich“ (1.Korinther 15.14). Das Pascha des Herrn ist der Kern und die unbesiegbare Kraft des Christentums: sie schafft die Hoffnung, entflammt die Liebe, beflügelt das Gebet, führt die Gnade herab, erleuchtet die Weisheit, zerstört jede Not und sogar selbst den Tod. Sie gibt dem Leben die Lebendigkeit, verwandelt die Seligkeit nicht in den Traum, sondern in die Wirklichkeit, macht aus der Herrlichkeit kein Gespenst, sondern den Blitz des ewigen Lichtes, der alles erleuchtet und keinem schadet (Metropolit Filaret, Predigt zum Heiligen Pascha).
Mit dem Glauben an die Auferstehung Christi ist der Glaube der Kirche unzertrennlich verbunden, dass der fleischgewordene Sohn Gottes, nachdem er die Sühne für das menschliche Geschlecht dadurch geleistet hatte, dass er die Ketten der Sünde und des Todes zerbrochen und uns die wahre geistliche Freiheit und die Freude der Wiedervereinigung mit unserem Schöpfer geschenkt hat.
Wir alle haben an diesem unschätzbaren Geschenk des Heilandes in vollem Maße Anteil. Wir alle, die sich in dieser leuchtenden Nacht in den orthodoxen Kirchen versammelt haben, um das Festmahl des Glaubens zu genießen, (Hl. Johannes Chrysostomus).
Das Pascha ist der Höhepunkt des dornigen Weges des Heilands, der mit den Leiden und dem Opfer von Golgatha gekrönt ist. Nicht ohne Absicht wird Christus in den liturgischen Texten und den Werken der Heiligen Väter mehrfach als „ Begründer unseres Heils“ genannt. „Ein Beispiel habe ich euch gegeben“ (Johannes 13,15) – spricht der Herr zu seinen Jüngern und ruft uns alle auf, dem Vorbild seines Lebens zu folgen.
Aber wie können wir den Heiland nachbilden? Welche Heldentat von uns kann das in Bezug auf die Gegebenheiten unseres Lebens sein? Wenn wir heute das Wort „ Heldentat“ aussprechen, entsteht oft im Bewusstsein der Menschen das Bild eines sagenhaften Kriegers, einer Figur der Geschichte oder eines berühmten Helden aus der Vergangenheit. Aber der Sinn einer Heldentat ist nicht Erwerb eines lauten Ruhms oder der allgemeinen Anerkennung. Durch eine Heldentat, die immer mit einer innerlichen Anstrengung und der Selbsteinschränkung verbunden ist, haben wir durch Erfahrung die Möglichkeit erkannt, was die wahre und vollkommene Liebe ist, denn die Opferbereitschaft, die jeder Heldentat zugrunde liegt, ist die höchste Manifestation dieses Gefühls.
Der Herr hat uns zur Heldentat der wirksamen Liebe gerufen, die sich im selbstlosen Dienst am Nächsten ausdrückt – um so mehr an denen, die besonders unsere Unterstützung benötigen: Leidende, Kranke, Einsame, Kleinmütige. Wenn dieses Gesetz des Lebens, welches so deutlich im irdischen Leben des Heilands sich darstellte und zum Ausdruck kam, zum Allgemeingut der Mehrheit wird, werden die Menschen tatsächlich glücklich sein. Nämlich wenn wir den anderen dienen, erhalten wir viel mehr, als wir abgeben. Dann geht der Herr selbst in unsere Herzen und das ganze menschliche Leben ändert sich durch die Teilnahme an der Göttlichen Gnade. Wie es keine Heiligkeit ohne Mühe und keine Auferstehung ohne Golgatha gibt, so ist die wahrhaftige geistlich-sittliche Verklärung der Persönlichkeit ohne eine Heldentat unmöglich.
Wenn die Heldentat zum Sinn des Lebens nicht nur von einem Menschen, sondern vom ganzen Volk wird, wenn in ihrer Strebung zum Himmlischen die Herzen von Millionen Menschen sich vereinigen, die bereit sind, ihre Heimat zu verteidigen und die hohen Ideale und Werte zu schützen, dann geschehen in Wahrheit wunderbare, merkwürdige und manchmal von der Seite der formalen Logik unerklärliche Dinge. Solches Volk erhält eine gewaltige geistliche Kraft, die keine Drangsale und Feinde überwinden können. Ein überzeugendes Zeugnis der Wahrheit dieser Worte ist der Sieg im Großen Vaterländischen Krieg, der durch die selbstlose Heldentat unseres Volks erkämpft wurde. Den 70. Jahrestag dieses ruhmreichen Sieges begehen wir feierlich in diesem Jahr.
In den Nöten und Versuchungen sind wir berufen, die Ruhe und die Furchtlosigkeit zu bewahren, weil uns die großen und ruhmreichen Verheißungen über den Sieg über das Böse gegeben worden sind. Wie können wir kleinmütig werden und verzweifeln! Wir bilden die Kirche Christi zusammen, die nach den wahrhaftigen Worten des Herrn sogar die Pforten der Hölle nicht überwältigen “ (Matthäus 16,18). Von uns bezeugt die Göttliche Offenbarung, indem sie prophezeit: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“. (Offenbarung 21,4).
Im Gebet wünsche ich euch, geliebte Mitbrüder im Bischofsamt, hochwürdige Väter, gottgeliebte Mönche und Nonnen, liebe Brüder und Schwestern, Kraft des Geistes und den festen Glauben, den Frieden und die unlöschbare Freude über den Herrn, der den Tod bezwungen hat. Indem wir mit dem Licht der Auferstehung Christi erfüllt werden und dem Geheimnis des Osterwunders teilhaft werden, teilen wir unsere triumphierende Freude mit den Nächsten und den Fernen und bezeugen den aus dem Grab erstandenen Heiland.
Mögen die flammenden Worte des Ostergrußes in allen Tagen des Lebens euch immer wärmen und trösten, die wahrhaftige Freude des Daseins schenken und zu guten Taten inspirieren:

Christus ist auferstanden!
Christus ist wahrhaft auferstanden!

+ Kirill
Patriarch von Moskau und der ganzen Rus‘
Moskau, Pascha Christi, 2015